Fords linker Schuh

Eine UFO Erzählung
von Lightcudder

translation by Toria

Keith Ford sah sich mit gerunzelter Stirn in der Mensa um; um die Mittagszeit aßen die meisten Kollegen hier und es war kaum ein Tisch frei. Er hatte keine Lust, sich mit dem medizinischen Personal zusammenzusetzen, die eine Vorliebe dafür hatten, sich während des Essens über ihre Arbeit zu unterhalten. Es gab noch einen Tisch, an dem erst ein Platz besetzt war. Das würde vielleicht auch gehen. Und er müßte nicht wieder den Diskussionen über die Art des Sezieren von Aliens und wie man den Todeszeitpunkt am einfachsten feststellen konnte, zuhören. Seit dem letzten Essen am Tisch der Mediziner hatte er nie wieder Leber mit Zwiebeln gegessen.

Er erreichte den Tisch, das Tablett in der Hand. „Darf ich mich zu Ihnen setzen, Sir?“

Straker sah auf. „Sicher. Nehmen Sie Platz.“ Er zeigte mit seinem Messer auf den Stuhl ihm gegenüber und wandte sich dann wieder seinen Steak zu. Üblicherweise aß er hier allein, so wie es ihm am liebsten war. In diesem Fall – er schaute sich kurz in der Mensa um – machte er eine Ausnahme; es war recht voll und Ford würde ihn sicher nicht stören. Er schnitt ein Stück vom Steak ab und kümmerte sich nicht weiter um den anderen Mann. Wenn er beschäftigt war, ließ man ihn grundsätzlich während der Mahlzeiten allein. Er hatte sich eine Akte mitgebracht, in die er sich nun wieder vertiefte.

Er bemerkte, daß Ford sich Lasagne und als Nachtisch Tiramisu ausgesucht hatte; eine Wahl, die er bei Ford nicht vemutet hätte. Tiramisu war ihm selbst zu sättigend, besonders mittags, und außerdem gab es heute sein Lieblingsdessert. Er wollte sich mit einem besonderen Nachtisch belohnen. Der Küchenchef hatte versprochen, es ihm an den Tisch bringen zu lassen; warmer Apfelkuchen mit Schlagsahne. Ein neuer Küchenchef übrigens; der andere war für vierzehn Tage in den Urlaub gefahren. Es war immer schwierig, neues Personal zu finden, das den höchsten Sicherheitsstandards entsprach, sogar wenn es nicht zu den operativen Einheiten gehörte wie die Küchenmannschaft hier; aber der Sicherheitscheck war positiv gewesen.

Nachdem er das Steak aufgegessen hatte, schob Straker den Teller beiseite und las weiter in seinem Report. Nichts Überlebenswichtiges, aber die Sache brauchte seine Zustimmung. Fosters Vorschlag, die Skydiver Patrouillenzonen neu zu ordnen, war eine erfolgversprechende Sache, aber es würde die Einsätze verteuern und Straker konnte jetzt schon Hendersons Seufzer der Verzweiflung wegen der steigenden Ausgaben hören. Er begann, sich Notizen an den Rand zu machen, als sein Kugelschreiber den Dienst versagte. Straker fluchte.

„Sir?“  Ford hielt ihm seinen eigenen Kuli hin.

„Danke.“ Straker fuhr fort, Anmerkungen an den Text zu schreiben, bis der Kellner zum Tisch kam, um die beiden Teller abzuräumen. Er stellte einen Dessertteller vor Straker auf den Platz. Der Duft von Äpfeln, Gewürznelken und Sahne ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er reichte Ford den Kuli wortlos zurück und schloss die Akte, legte sie beiseite und konzentrierte sich auf seinen Nachtisch. Ihm gegenüber versuchte Ford, den Löffel nicht ans Glas klirren zu lassen, während er sein Tiramisu in sich hineinschaufelte und sich fragte, ob er sich nicht doch besser zu den Medizinern gesetzt hätte.

Am Rand von Strakers Teller hatte der Koch eine Kumquat platziert, eine ungewöhnliche Dekoration für einen Apfelkuchen. Er schob den letzten Bissen Mürbeteig in den Mund und wandte sich dann der Frucht zu, rollte sie zwischen seinen Fingern, um die Schale weicher zu machen und ihr Aroma zu entfalten, bevor er sie in den Mund schob. Er vermutete, der leicht metallische Nachgeschmack der Frucht rührte daher, daß er noch den süßen Geschmack des Apfelkuchens auf der Zunge hatte. Er faltete seine Serviette zusammen und schob den Stuhl zurück, um zu gehen, als Ford die Reste der Creme vom Rand der Schüssel zusammenkratzte und danach den Löffel wie ein Kind ableckte. Er legte ihn auf dem Teller zurück und seufzte wohlig, als er Strakers belustigtes Grinsen bemerkte und rot anlief.

„Mein Lieblingsdessert. War eine ganze Weile nicht auf der Karte.“

„Dann sollten Sie den Küchenchef fragen, ob er es öfter draufnehmen kann.“ Straker sah auf die Uhr und zog eine Grimasse. „Ich sollte lieber zurückgehen. Ich war lange genug weg und Foster wartet schon auf mich. Sie haben noch … 10 Minuten? Also kein Grund, sich zu beeilen, Lieutenant.“

Er entfernte sich, schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und stoppte ein- oder zweimal, um mit anderen Gästen zu sprechen, bevor er den Speisesaal verließ.

Ford blickte ebenfalls auf die Uhr, um  zu sehen, ob genug Zeit blieb, um sich noch ein Dessert zu holen. Da sah er die Akte auf dem Tisch. Oh nein. Er nahm sie an sich und rannte hinter dem anderen Mann her. „Commander?“

Straker hielt an, drehte sich um und griff seufzend nach der Akte. „Danke, Keith. Ich werde alt.“ Er setzte seinen Weg fort und der Lieutenant gab seine Überlegungen wegen eines weiteren Nachtischs auf. Er folgte ihm den Korridor entlang zum Kontrollraum. Er würde sich stattdessen mit einem Kaffee begnügen.

Corridor

………

Paul Foster sah auf seine Uhr. Straker war nun schon seit dreißig Minuten zur Pause und Ford fast genauso lange. Es war nicht Strakers Art, die Mittagspause zu überziehen. Sonst war er immer lange vorher zurück.

Es war gut, daß es im Kontrollraum laut war, sonst hätte das Knurren in seinem Magen sicher für unwillkommene Aufmerksamkeit gesorgt. Er nahm noch einen Schluck Kaffee, extrasüß, um das Hungergefühl zu lindern, auch wenn er überlegte, was schlimmer war: das grimmige Kneifen in seinem leeren Magen oder die volle Blase, die nach soviel Kaffee zu erwarten war. Ein schneller Abstecher zur nächsten Toilette würde sicher kein Problem sein, solange kein Alarm kam. Aber wo zum Teufel blieb Straker? Er klopfte auf das Glas seiner Armbanduhr, mehr beunruhigt als ärgerlich. Ein Zuspätkommen war für seinen Boss äußerst ungewöhnlich.

Er wollte gerade losgehen und Straker ausrufen lassen, als er draußen im Korridor erstickte Schreie hörte, Sekunden später gefolgt von einem dumpfen Aufschlag und der Stimme von jemandem, der um Hilfe rief. Der Hunger war vergessen; er rannte den Gang hinunter zu den Geräuschen, die außerhalb seiner Sicht ihren Ursprung hatten, dann um die nächste Ecke – und dann erstarrte er.

Ford stand zusammengekauert neben einem Mauerpfeiler, die Hand auf den Knien abgestützt, sein zerzaustes Haar und seine Kleidung bedeckt mit glitzerndem Staub, und als er sich zu Foster umdrehte, bemerkte dieser, daß die gleiche Substanz auch Fords Augenbrauen und Lippen überkrustete. EisigeWinterluft erfüllte den Raum und hüllte Foster in eine Glocke aus Kälte ein, als wenn plötzlich der Temperaturregler seinen Dienst aufgegeben hätte. Aber nein. Es war nicht die Heizung, die versagt hatte, sondern Ford selbst war das Zentrum der Kälte, die den Raum durchdrang. Genau gesagt war es ein Zustand, als wenn Ford von Minustemperaturen umgeben war und diese von ihm an die Umgebung abgegeben würden.

Ford sah auf und warf Foster einen erleichterten Blick aus blutunterlaufenen, halbgeschlossenen Augen zu, bevor er zu Boden sackte. Paul bemerkte aus dem Augenwinkel, daß Ford weiße Socken trug, schmutzig an den Fersen, und aus irgendeinem Grund den linken Schuh verloren hatte. Kein Anzeichen von dem fehlenden Schuh. Er starrte für einen Moment auf den sockenbekleideten, schuhlosen Fuß, bevor er Straker bemerkte, der in der Hocke an der Wand lehnte, in sich zusammengesunken und nach Luft ringend, als wenn ihm der Sauerstoff ausgegangen war.

Paul kniete sich neben seinem Commander nieder und erschauderte vor Kälte, die jetzt beide Männer einhüllte. „Was zum Teufel ist passiert, Ed?“ Er berührte Strakers Gesicht und erschrak, als er die eiskalte Haut fühlte und die eisumrandeten blauen Augen sah, auf deren weizenblonden Augenwimpern zu Diamanten gefrorene Tränen glitzerten, die Lippen weiß gerändert und blau gefroren.

Straker hob eine Hand zu seinem Gesicht und begann seine Wangen zu reiben, als wenn er nicht hätte sprechen können, ohne vorher wieder Wärme in die gefroreren Gesichtspartien zu bringen. „Zugang“, presste er heraus. „Keith. Zog mich raus.“ Er schloß seine Augen für einen Moment. „Ist er okay?“

Foster wandte sich um und sah zu Keith Ford hinüber. In diesem Moment erreichte auch das medizinische Team die Gruppe. Der Chefkommunikator hatte sich zusammengerollt und zitterte. Ein gutes Zeichen, aber seine Augen waren fest geschlossen und die Temperatur im Korridor war immer noch eisig. Es gab ein Klingeln und Rütteln der Ventilatoren, als das Gebläse anlief. Ein Luftzug von willkommener warmer Luft begann den Gang zu fluten. Jackson drängte Foster zur Seite und begann, Ford zu untersuchen. Paul, seinen knurrenden Magen ignorierend, drehte sich zu Straker zurück, der nun stand und seine Arme rieb, die grau vor Kälte waren. Er rückte näher an die Ventilation und hielt sein Gesicht in den warmen Luftstrom. Dampf stieg auf, als die Eiskristalle verdunsteten und ihn in eine kleine Wolke einhüllten.

Das Team legte Ford auf eine Trage, um ihn zur medizinischen Station zu bringen. Straker und Foster folgten ihnen langsam. Der Pulk der Neugierigen, die die Szene im Korridor verfolgt hatten, verschwand so schnell wie die eisige Luft. Straker hatte seine normale  Gesichtsfarbe ein wenig zurückgewonnen, als sie Jacksons Büro erreichten, aber er nahm bereitwillig das Angebot eines heißen Getränks an und hielt die warme Tasse fest in seinen Fingern, die sich immer noch taub anfühlten.

Er sah Foster an. „Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Unsere Wissenschaftler können es vielleicht erklären. Alles, was ich weiß, ist, daß ich den Korridor hinunterging. Ford war hinter mir. Da war ein …“, er machte eine Pause und dachte nach, „… Zugang. Das ist das einzige Wort, mit dem ich es beschreiben kann. Er erschien einfach. Genau vor mir.“

„Zugang. In einem Korridor.“ Paul klang skeptisch, durchaus verständlich, wie Straker dachte.

„Keine Tür. Ein Portal? Wurmloch? Was auch immer, es war kalt, dunkel und es zog mich hinein. Nichts was mich hätte aufhalten können. Nichts, um mich festzuhalten. Dann griff Keith nach meinem Arm.“ Straker massierte sein Handgelenk und zuckte zusammen, als die gezerrten Sehnen protestierten. „Ein Gang auf der anderen Seite. Kalt wie der Weltraum. Und dunkel. Da war etwas auf der andere Seite. Zumindest dachte ich, daß dort etwas war. Etwas wie nicht von dieser Welt. Gedämpftes Licht und Hitze und … Dinge.“ Er schauderte. „Wenn Keith mich nicht festgehalten und sich an mir festgeklammert hätte, owohl er selbst schon im Zugang stand und fast zu Eis erstarrt war, wäre ich hindurchgezogen worden zu dem, was auch immer dort auf mich gewartet hat.“ Er hielt seine Tasse zum Nachfüllen hin.

„Aliens? Sie haben so etwas noch nie vorher versucht. Und woher wußten sie, daß Sie gerade in diesem Moment da sein würden? In diesem Korridor?“

„Da bin ich mir noch nicht sicher. Ich habe eine Ahnung, will sie aber noch mit Jackson besprechen, wenn er mit Keith fertig ist. Das, an was ich mir erinnere, ist nur Keith, der nach mir packte und mich zurückzog. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Er war schließlich selbst schon halb durch diesen Zugang durch. Hatte sich irgendwie am Pfeiler festgekrallt.“ Er leerte seine Tasse in einem Zug und stellte sie ab. „Nun gehen Sie zur Mittagspause und…“, er zog eine Augenbraue hoch, „essen Sie bloß nicht den Apfelkuchen. Obwohl …“ Er griff nach dem Interkom. „Sicherheit? Straker hier. Schließen Sie die Kantine und nehmen den Koch in Gewahrsam. Ich will, daß sämtliches Essen auf Manipulation durch die Aliens untersucht wird. Sie können mit den Kumquats anfangen.“ Er sah auf und zuckte mit den Schultern, als er Fosters Gesichtsausdruck sah. „Tut mir leid, Paul. Sie müssen heute wohl mit Sandwiches auskommen.“

. . . . . . .

Der Gefangene war nicht das, was sie erhofft hatten. Er lag auf dem Boden, bewegungslos. Weder atmend noch irgend ein Geräusch erzeugend. Auch kleiner. Viel kleiner. Sie hatten einen großen Käfig für ihn bereitgestellt. Sogar ein Kraftfeld, um sich vor seinen Angriffen zu schützen. Schließlich hatte er schon genug ihrer Verbündeten umgebracht. Oder war etwa die Information ihrer sogenannten Verbündeten falsch gewesen? Vielleicht waren sie Narren gewesen, hatten zu sehr vertraut. Oder war es gar ein Trick?

Schließlich wagte einer von ihnen, sich ihm zu nähern, entgegen der Warnungen, daß es sich bei ihm um den gefährlichsten und verhasstesten seiner Art handelte. Er berührte den Gefangenen mit der Spitze einer Tentakel, bevor er sich eilig zurückzog, spuckend und würgend, um den widerwärtigen Geschmack in seinem Mund loszuwerden. Ein unerträglicher  Gestank stieg auf. Ein unausstehlicher Geruch, der sich im Raum wie Nebel ausbreitete. Sie konnten ihn sehen. Dunkel und undurchdringlich.

Ekel und Angst ergriffen sie. War dies eine Falle? Ein Mittel, um sie zu vergiften? Es gab nur eine Möglichkeit zu handeln…

Sie öffneten das Wurmloch und sandten den Feind dahin zurück, wo er hingehörte.

. . . . . . . .

Außerhalb des Kontrollraums von SHADO gab es einen Knall, als Keith Fords Lederschuh, hellbraun, Größe 10, aus der Wand fiel und auf dem Boden zu liegen kam.

Shoe

LtCdr. Januar 2013

Geschrieben als Beitrag zu Dragons Aufgabe „Ford kehrt vom Mittagessen zurück und trägt nur einen Schuh.“

 

With grateful thanks to Toria for her support, translation and beta-reading. There may be some slight differences between this version and the English one. These are entirely my fault as I ‘tweaked’ the English version after re-reading it.

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